Sprachlernklasse

Die Sprachlernklasse unserer Schule wurde offiziell am 1.2.2014 eingerichtet. Sie besteht aus Schülerinnen und Schülern, die aus vielen verschiedenen Ländern wie z.B. aus Kroatien, dem Irak, Moldawien, Italien, Griechenland, Mazedonien, Montenegro und anderen Ländern stammen und aus verschiedenen Gründen zu uns nach Hannover gekommen sind. Aus ihren Herkunftsländern bringen die Schülerinnen und Schüler meist gute bis sehr gute Zeugnisse mit und möchten natürlich ihren dort eingeschlagenen Bildungsweg bei uns fortsetzen. Dazu müssen sie bei ihrer Ankunft hier in der Regel erst einmal eins: Von Beginn an Deutsch lernen, denn die meisten von ihnen verfügen, wenn sie nach Deutschland kommen, über keinerlei Deutschkenntnisse. Immer wieder gibt es in der Sprachlernklasse aber auch Schüler*innen, die aus einem der Krisengebiete der Erde zu uns kommen und dort aufgrund der äußeren Umstände nur wenig beschult werden konnten, sodass es auch vorkommen kann, dass wir diese Schüler*innen in der deutschen Sprache zunächst latinisieren müssen, d.h. dass sie unser Alphabet als Grundlage der deutschen Sprache erlernen müssen. Es kann auch passieren, dass die entsprechenden Lernenden auch in ihrer Herkunftssprache noch nicht lesen und schreiben können, wenn sie zu uns kommen. Demnach ist die Sprachlernklasse der Herschelschule also immer sehr heterogen und bringt für alle Beteiligten in der Praxis viele große Herausforderungen, aber auch viel Potenzial und viele schöne Momente, Erlebnisse und Erfahrungen mit sich.

Das Team, das aktuell in der Sprachlernklasse unterrichtet, besteht aus einem festen Stamm von mehreren Kolleginnen und Kollegen. Derzeit unterrichten Frau Stolpe und ich in der Sprachlernklasse Deutsch, und wir betreuen die Klasse auch als Klassenlehrerinnen. Daneben werden derzeit die Fächer Mathematik und Englisch in Doppelsteckung bei Frau Hübner und Herrn Bülow bzw. bei Frau Sternberg und Herrn Demmer unterrichtet. Geschichte erteilt Herr Schröder, Darstellendes Spiel Herr Wendelken, Sport und Englischförderunterricht Herr Kopp. Den Schwerpunkt der Stunden bildet jedoch der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache, in dem wir versuchen, durch einen extrem binnendifferenzierten Unterricht die Lernenden systematisch bis hin zu den Niveaustufen B 1 bzw. B 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) an das entsprechende Sprachniveau heranzuführen, damit sie gute Grundlage für den Besuch jeglicher Schulform haben, wenn sie aus der Sprachlernklasse entlassen werden. In der Vergangenheit konnte der Großteil unserer Schüler*innen nach der Entlassung aus der Sprachlernklasse an unserer Schule bleiben, was uns sehr stolz macht. Ein besonders großer Dank gilt in diesem Zusammenhang auch allen Kolleg*innen und auch unseren Schüler*innen der anderen Klassen, die die Lernenden der Sprachlernklassen innerhalb der Regelklassen besonders dabei unterstützen, Deutsch zu lernen und sich zu integrieren. Da die Förderdauer in einer Sprachlernklasse in der Regel ein Jahr beträgt, ist der erworbene Sprachstand umso höher anzusehen, d.h. die Sprachlernklassen-schüler*innen leisten Unglaubliches, wenn sie innerhalb dieses Jahres tatsächlich die Stufen B 1 oder gar B 2 des GER erwerben können.

Die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit in einer Sprachlernklasse sind unter anderem in dem Erlass „Förderung von Bildung und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache“ festgelegt, der am 1. August 2014 in Kraft getreten ist. Weitere Grundlagenerlasse, Erlasse für die jeweilige Schulform, die Kerncurricula und schulinternen Lehrpläne für die einzelnen Fächer sowie die Rahmenrichtlinien Deutsch als Zweitsprache bilden weitere Bezugspapiere für die Arbeit in der Sprachlernklasse. Aufgrund der Zusammensetzung unserer Sprachlernklasse ergibt sich eine natürliche Mehrsprachigkeit, die sich sehr gut für Sprachvergleiche eignet und somit in besonderer Weise die Ebene der Metakognition fördern kann, die für das Erlernen und den Erwerb von weiteren Sprachen sehr sinnvoll sein kann. Dieses Nachdenken über Sprache / Sprachen nutzen wir sehr gerne innerhalb des Klassenverbandes der Sprachlernklasse, und es steht natürlich in unmittelbarem Zusammenhang auch mit dem Lernziel der Erziehung zur Interkulturellen Bildung.

Natürlich müssen die Schüler*innen der Sprachlernklasse auch die Auflagen hinsichtlich der beiden schulischen Pflichtfremdsprachen erfüllen. Daher nehmen sie in der Regel am Unterricht der ersten und zweiten Pflichtfremdsprache teilnehmen, ggf. lernen sie bei uns ab der zehnten Klasse Spanisch als 2. Fremdsprache neu. Unter bestimmten Bedingungen können sie aber auch eine der beiden schulischen Pflichtfremdsprachen durch eine Prüfung in ihrer Herkunftssprache ersetzen. So hatten wir an unserer Schule bereits Sprachfeststellungsprüfungen z.B. Suaheli, Russisch, Portugiesisch, Italienisch, Bulgarisch, Hindi, Griechisch usw. Diese kurze Aufzählung zeigt bereits, wie wertvoll die natürliche Mehrsprachigkeit der Lernenden ist, die sie mitbringen und welch Zugewinn die Gesamtsituation für uns alle ist.

Für die Unterrichtenden bedeutet die Zusammensetzung der Sprachlernklasse bereits aufgrund der beschriebenen Elemente, dass bei der Unterrichtsvorbereitung und –durchführung mehrere Lernvoraus-setzungen und Altersklassen berücksichtigt, verschiedene sprachliche Niveaus und eine besondere Interkulturelle Kompetenz bedient werden müssen. Flexibilität und Offenheit, Verständnis für interkulturell bedingte Unterschiede, viel Humor, die Bereitschaft zur eigenen Kontrolle von Lernprozessen, zur Verantwortung für die Mitlernenden, Vertrauen, Kreativität, ein hohes Maß an Bereitschaft zur eigenen Kontrolle von Lernprozessen wird den Lernenden bzw. den Lehrenden stets abverlangt. Wenngleich die Situationen teilweise neu, ungewohnt und auch nicht immer „vorhersehbar“ sind, empfinden wir Unterrichtenden die Arbeit in unserer Sprachlernklasse als enorme Bereicherung, und wir haben viel Freude an dieser Arbeit. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Lernenden und auch die Erziehungsberechtigten für die geleistete Arbeit in der Sprachlernklasse sehr dankbar sind und diese wertschätzen. Auch daher ist es uns wichtig, zu allen am Lernprozess Beteiligten ein konstruktives und offenes Vertrauensverhältnis aufzubauen und den gezielten sprachlichen Lehrgang und das praktische Scaffolding immer vor Augen zu haben.

Die Arbeit in unserer Sprachlernklasse findet auch über die Grenzen unserer Schule hinaus großes Interesse. Bereits seit einiger Zeit gibt es eine Kooperation mit der Leibniz-Universität Hannover, in deren Rahmen die Sprachlernklasse gemeinsam mit weiteren Sprachlernklassen andere Schulen der Landeshauptstadt an dem Projekt „Sprachlernendes Spiel“ teilnimmt und am Ende des jeweiligen Zyklus eine gemeinsame Aufführung präsentiert. Im Rahmen der Teilnahme an der Zertifikatsprüfung „DSD I“ (Deutsches Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz der Länder) konnten die (ehemaligen) Sprachlernschüler*innen in der Vergangenheit meist besonders gute Ergebnisse erzielen, und besonders stolz sind wir darauf, dass bereits drei ehemalige Sprachlernklassenschüler*innen unserer Schule Stipendiat*innen der START-Stiftung werden konnten. In der Praxis gibt es darüber hinaus viele Beispiele für eine erfolgreiche Integration und auch Berufswahl (Studium) unserer ehemaligen Sprachlernschüler*innen. Besonders emotional ist es für mich, wenn sich eine ehemalige Sprachlernschülerin / ein ehemaliger Sprachlernschüler nach langer Zeit bei mir meldet und von ihrem / seinem Werdegang berichtet und sich daran erinnert, wie dieser Weg hier konkret begonnen hatte…

Für die Zukunft der Sprachlernklasse habe ich bereits einige neue, kreative Ideen, die ich an dieser Stelle noch nicht mitteilen möchte, damit es spannend bleibt. Ich freue mich aber schon darauf, diese Ideen gemeinsam mit meinen Kolleg*innen in die Tat umzusetzen. Für Fragen und Anmerkungen stehe ich gerne unter (mar(at)herschelschule.de) zur Verfügung.

Herzliche Grüße
Alexandra Marsall, OStR’, 18.5.2020