Unsinnig ist viel und nichts ist unsinniger als diese Geschichte?

Rezension zur Aufführung des Theaterstücks „Biedermann und die Brandstifter
(Max Frisch) am 15.02.2018

Schemenhaft schlendern Figuren über die im Halbdunkel liegende Bühne, lümmeln sich, beinahe gelangweilt, Zigarre rauchend auf Stühlen und Polstersesseln. Es sind, darauf verweisen die umgehängten Schilder, die Personen Putin, Assad, Trump, Erdogan, Kim Jong Un. Potentielle Brandstifter unserer gegenwärtigen Welt?

Man scheint zu warten, sendet beiläufig beobachtende Blicke Richtung Publikum, raucht, raucht. Gesprochen wird kein Wort, aber da sind akustische und musikalische Elemente, live eingespielt anfangs dezent, die schwelende Atmosphäre intensivierend. (professionell gespielt und dirigiert durch die Klasse 10 M, dargeboten werden: Game of Thrones- Ramin Djawadi, Chant du Soir – Robert Schumann und The Great Locomotive Chase – Robert W. Smith). So beginnt die Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“, dargeboten vom Kurs Darstellendes Spiel, Jahrgangsstufe 9 der Herschelschule Hannover (Leitung und Regie: Th. Hamann), und man beginnt sogleich zu ahnen, dass es in dem Stück um Weltbewegendes gehen wird.

Licht kommt auf die Bühne, gezielt eingesetzt, fokussiert es den Blick: Der Zuschauer begibt sich als Beobachter in eine von gewissem Wohlstand geprägte Alltagswelt, in die gute Stube von Herrn Biedermann. Und dort sitzt er auch schon, der Hausherr, Zigarre rauchend, Zeitung lesend, sehr erbost über das Gelesene. In der Zeitung wird offenbar darüber berichtet, dass Brandstifter in seiner Stadt umgehen, sich bei unbescholtenen Bürgern einnisten und schließlich eine Brandkatastrophe herbeiführen. Biedermanns Empörung scheint kaum kontrollierbar  – da klingelt es an der Haustür. Die Handlung nimmt ihren Lauf:

Gottlieb Biedermann, Haarwasserfabrikant, gewährt, trotz feuergefährlicher Zeiten, widerwillig zwei ihm unbekannten zwielichtigen Gestalten Obdach: Schmitz und Eisenring. Sie nisten sich auf  Biedermanns Dachboden ein, lagern dort Benzinfässer, hantieren mit Zündschnur und Zündkapseln. Zwar fragt Herr Biedermann, zusehends verunsichert, mehrfach an, ob sie Brandstifter seien, lacht  dann aber mit den beiden, als diese unverschämt dreist bejahen und kommentieren: „Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.
Immer weiter liefert sich Biedermann der Situation bzw. den beiden Brandstiftern aus, auch wenn er sich bemüht, das drohende Unheil wenigstens von sich selbst abzuwenden – in bieder-männischer Manier, versteht sich. So schreckt er selbst vor Verbrüderungsversuchen mit den Brandstiftern nicht zurück, lädt sie zu einem Gänse-Essen ein während zeitgleich die ersten Gasometer in der Stadt explodieren.
Biedermann und die Brandstifter“, das wohl bekannteste Theaterstück von Max Frisch, uraufgeführt im März 1958 im Zürcher Schauspielhaus, hat thematisch auch heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Das „Lehrstück ohne Lehre“, so der Untertitel,  ist eine Parabel auf den Menschen schlechthin, der aus Bequemlichkeit, Angst, Dummheit und Feigheit zum Mitläufer wird, der versagt, weil er geistig gelähmt, selbstgefällig ist, für den es einfach bequem ist, alles beim Alten zu lassen – wider besseres Wissen.

Diesen Typus des Biedermannes, dem Behagen über alles geht, der auf der einen Seite gewissenlos über das Schicksal seines Mitarbeiters Knechtling bestimmt, auf der anderen Seite vor Angst zitternd sich den Brandstiftern zuletzt in einer schäbigen goldgelben Freizeitjacke anbiedert, verkörpert Jamal Degtyarev bemerkenswert sicher: facettenreiches Sprechen, differenzierte Mimik und Gestik. An seiner Seite zeigt sich überzeugend Marlene Bensemann in der Rolle der  Ehefrau Babette Biedermann: zart, dem Anschein nach gefühlvoll, tatsächlich aber bestenfalls sentimental. Spielerisch und motorisch verdeutlicht sie dies insbesondere über  körpersprachliche Veränderungen, indem sie ihren anfänglichen Status aufgibt und auch stimmlich nuanciert zunehmende Hilfslosigkeit vermittelt. Klar als Kontrastfiguren zu den gepflegt ausstaffierten Biedermanns sind die beiden Brandstifter als soziale Außenseiter angelegt und kostümiert: Elena Eggerichs spielt den nur zum Schein etwas plump wirkenden Ringer Josef Schmitz grandios, wenn sie lockeren Schrittes im braunen Nicki-Jogginganzug seelenruhig über die Bühne schlendert und bei konsequent verlangsamtem Sprechtempo in vorgetäuschter und entwaffnender Einfältigkeit ihr Ziel klar im Blick behält.  Agiler, eleganter gekleidet und eloquenter gibt Mehmet  Yilmaz den ehemaligen Kellner Eisenring, den spiritus rector, der in schwarzer Hose und Weste kalt, dreist und glatt, dabei tänzelnd, buckelnd, Herrn Biedermann und die bürgerliche Gesellschaft in Haltung und Sprache schamlos demaskiert. Die Zweiteilung der Figurenkonstellation wird gespiegelt in der Ausgestaltung des Bühnenbildes: Der Schauplatz, der während des gesamten Stückes nicht wechselt, weist zwei Ebenen auf, die, pantomimisch sehr gekonnt, mehrfach simultan bespielt werden: den mit Benzinbehältnissen zugestellten Dachboden, das Quartier der Brandstifter sowie den Wohnbereich der Biedermanns – wozu auch, quasi als lebendiges Statussymbol in Häubchen und Schürzchen, das Dienstmädchen Anna (stark: Celina Chiro) gehört. Der Zuschauer hat damit von Beginn an den Überblick über das Gesamte, wie auch Biedermann; der aber tut so, als nähme er nicht wahr, was sich direkt neben ihm abspielt; selbst dann nicht, als das gelungene  Zusammenspiel aller Figuren in die komödiantisch glänzend ausgeformte Jedermann-Szene mündet und dem Zuschauer das Lachen im Halse stecken zu bleiben droht.

Und noch jemand scheint von Anfang an zu wissen, was hier eigentlich gespielt wird: eine Gruppe chorisch sprechender Figuren, die sich im Verlauf der Handlung immer wieder in Erscheinung bringt – kommentierend, monoton klagend, warnend, aber offensichtlich  unfähig, rechtzeitig einzugreifen – kenntlich gemacht als Vertreter der Presse. Dieser „Kunstgriff“ ist nachvollziehbar, auch wenn Frischs Spiel mit Funktion und Sprache des antiken Chors als tragendes und zentrales dramatisches Element nicht mehr so deutlich zur Geltung kommt.

Nach dem Finale – die Bühne ist in glutrotes Licht getaucht, das Orchester variiert (geniales Gestaltungselement !) den wohlbekannten Soundtrack von „Game of Thrones“ – verlässt der Zuschauer das Haus und weiß: Das Theater ist eine politische Anstalt !

Text: Gehsa-A.Kobs